Sibylle Spittler

Redakteurin, Autorin, Lektorin

Eliot Holtby Und Das Universum der Vergangenheit

Band 1

Einen schmächtigen, introvertierten, zwölfjährigen Jungen, seinen blinden, stets besserwisserischen Freund und eine alte, scheinbar unbeholfene Schildkröte, schicke sie in die geheimnisvolle Parallelwelt Chilverse, wo sie auf so illustre Gestalten wie Shakespeare, Bach, Galilei oder den Grafen von Wellington treffen, und sende sie von dort aus weiter auf eine abenteuerliche Zeitreise ins Paris des Jahres 1900, das Jahr der großen Weltausstellung und der Eröffnung des grandiosen Eiffelturms, damit sie hier zusammen mit Toulouse Lautrec bei Monsieur Escoffier speisen, und dann mit Jules Verne – einem frechen, bunten Papageien folgend – nach einer halsbrecherischen Kutschfahrt quer durch Montmarte und verfolgt von einem mörderischen Mensch-Automaten, der ihnen allen nach dem Leben trachtet, ein Luftschiff besteigen, das nicht nur sie, sondern auch einige sehr böswillige Blinde Passagiere kurz zuvor aus einem geheimen, unterirdischen Hafen durch ein Öl-Gemälde hindurch in die Vergangenheit gebracht hatte, wo sie nun – zusammen mit einem ziemlich draufgängerischen, naseweisen Mädchen – ein Glühwürmchen suchen, das sich im Louvre versteckt hält, und das ein kleiner Teil eines großen Geheimnisses ist, dessen Lösung nicht nur die Welt aus den Fängen der bösen Hexe Euphemia LaCroix befreien, sondern auch Eliot (jenen zwölfjährigen Jungen und Namensgeber des Romans) seine beiden Eltern zurückbringen soll, die von Euphemia einst aus blindem Hass in Statuen verwandelt wurden, was wiederum zur Folge hatte, dass Eliot seit seiner Geburt bei seinem liebevollen Ziehvater Hilarius Winterbird in einem nicht so ganz gewöhnlichen Zirkus in Amsterdam aufwuchs – wo übrigens diese ganze Geschichte ihren Anfang nimmt, als die niederländische Königin samt Gatten an einem fröhlichen Silvesterabend Opfer einer explodierenden Silvesterkanone werden (was für den Rest der Geschichte allerdings unerheblich ist) – und wo Hilarius seinem geliebten Ziehsohn Eliot am Vortag des Jahres, in dem er seinen dreizehnten Geburtstag feiern wird, dass er die mächtigen, magischen Kräfte seiner Mutter geerbt, und somit seine grausame Tante Euphemia – unterstützt durch eine Armee fieser Gnome und modernster Technik – ab sofort nicht nur ihm, sondern auch seinen beiden Freunden Florens und Abigail nach dem Leben trachtet, was die drei so unterschiedlichen Freunde jedoch nur umso enger zusammenschweißt, wodurch sie schließlich – stets begleitet von dem sich als ziemlich wehleidig und narzistisch veranlagt entpuppenden Schildkröterich Mr. Touchdown – all die gefährlichen Abenteuer und Prüfungen bestehen, die sich ihnen im Verlauf der Handlung stellen, um am Ende den drohenden Weltuntergang zumindest vorerst aufzuhalten, sich der erbarmungslosen Euphemia in den Weg zu stellen und ihre düsteren Pläne zu durchkreuzen.

Und man erhält?

Einen unwiderstehlichen Roman.

Ihnen wurde ein bisschen schwindelig beim lesen?

Dabei war das nur ein Bruchteil der ungemein fantasievollen und spannenden Handlung von „Eliot Holtby“, die prallvoll ist mit schier unglaublichen Wendungen und verblüffenden Einfällen. Langeweile kommt hier ganz sicher auf keiner einzelnen Seite auf.

Den liebevoll und vielschichtig gezeichneten Charakteren der drei jugendlichen Helden und ihrer tiefen und zuweilen rührenden Freundschaft steht dabei mit Euphemia LaCroix eine fast comichaft überzeichnete, böse Gegenspielerin samt ihrer (scheinbar) willigen und wandlungsfähigen Schergen gegenüber, was jedoch dem Lesegenuss keinerlei Abbruch tut.

Im Gegenteil: Der märchenhafte Kampf zwischen Gut und Böse, der dem fantastischen Abenteuerroman genrebedingt natürlich zugrunde liegt, schafft so quasi spielerisch eine dramaturgisch pointierte Prägnanz, und man darf gespannt sein, wie sich Euphemia in den kommenden Teilen des auf sieben Bände angelegten Roman-Zyklus’ noch entwickeln wird.

Eliot, Florens und Abigail – unsere drei Helden – hingegen vermitteln den sicherlich nicht nur jugendlichen LeserINNEN ohne erhobenen Zeigefinger und fast wie nebenbei den großen Wert von Freundschaft und die wunderbare Kraft, die aus einer verschworenen Gemeinschaft erwächst: Man kann eben viel bewegen, wenn man fest zusammen hält und sich aufeinander verlassen kann. Keiner der drei ist perfekt. Aber zusammen sind sie unschlagbar.

Der erste Teil von „Eliot Holtby“ blättert den LeserINNEN mit wunderbar bunter und fast überschäumend fabulierfreudiger Sprache so auch das szenische Tableau auf, auf dem sich die Figuren in den folgenden Bänden weiter bewegen werden.

Und dabei schafft Autor Marc Rosenberg den schwierigen Spagat, dass in einem durch den Hauptcharakter Eliot scheinbar wie üblich männlich dominierten Abenteuerroman gerade aber auch die weiblichen Figuren allesamt ungemein kraftvoll, unabhängig und selbstbestimmt daher kommen. Und mit Witz.

Wo gibt’s denn sowas?

„Eliot“ ist dabei im besten Sinne ein „Pageturner“ – keine Seite, auf der nicht schier Unglaubliches passiert, keine Seite, nach der man nicht unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht.

Dass man dabei quasi en passent und oft gespickt mit hintergründigem Humor viel Wissendwertes über vergangene Zeiten und berühmte Persönlichkeiten lernt, fällt einem gar nicht recht auf. Nein, didaktisch will dieses Buch wirklich nicht sein. Nur ungemein unterhaltsam. Und das ist es.

Mitreißend geschrieben ist das alles, und dabei so plastisch, dass man als LeserIN quasi schon alles wie einen Film auf der großen Leinwand vor dem inneren Auge vor sich sieht.

Der erste Teil von „Eliot Holtby“ wird garantiert nicht der letzte sein.

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Sibylle Spittler

Redakteurin, Autorin, Lektorin